Kandidaten-Turnier Berlin 2018
10.-28.03.2018

Der untere Teil der alten Fassade des Kühlhauses
wurde mit einem vollmundigen Spruch verkleidet
Dies ist der Eingang für die "Gold-Karte"
mit anschließendem Fahrstuhl - alle Getränke frei
Und hier geht's zum Eingang für Leute wie mich,
allerdings mit hipper Beleuchtung ...
... und hier ist er.
Ich bin reingegangen!


Nachdem Reiners Vorhaben, das Turnier persönlich in Augenschein zu nehmen, an einem Ruhetag vor schlossenen Türen scheiterte, und Björn zur sechsten Runde mit dem Flix-Nachtbus an- und abreiste, mache ich mich nun <uch auf, um am 19. und 20. März zur 8. und 9. Runde am Welt-Schachevent Nr. 1 vor Ort teilzuhaben.
Ich bin gespannt was mich im kargen Kühlhaus erwartet - außer Fotografierverbot, Stehplätzen, Verpflegungsnotstand und ungemütlichen Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Stühle.

Erst muss ich natürlich ein Ticket haben. Bei dem zu erwartenden Ansturm, der sich aber als nicht vorhanden heraustellen sollte, habe ich dieses Online bestellt, "Silber" für schlappe 37 €, pro Tag. Da hat man das Privileg, auf gleicher Ebene auf ca. 4 Meter an die Bretter heranzukommen. Die preiswertere "White"-Karte bietet dieses Vergnügen nicht, hätte aber auch ausgereicht.

Vor Ort wird man dann
mit einem reißfesten "Silberband" dekoriert.
Es hat das jeweilige Tagesdatum und wird auf den unteren Stockwerken vor jeder Tür kontrolliert.

Nach dem Abschluss der Hinrunde des doppelrundigen Turniers führte Caruana, der von so manchem Experten auch als Geheimfavorit eingestuft wurde. Für mich überraschend lag Aronian weit hinten. Auch Karjakin, der vorhergehende Herausforderer, muss sich deutlich steigern.
Nun, die Rückrunde wird noch so manche Überraschung für uns - und die Experten! - parat haben.
Den Beginn, die Runden 8 und 9, habe ich live miterlebt und mit Hilfe der vor Ort sich mühenden Kommentator-Analysten auch immer mal durchgeblickt. Korrekter wäre wohl 'durchgestanden', denn wie gesagt, sitzen ist nur in der Fanzone möglich, auf Holzkuben. Oder abseits der Bretter in Stockwerk 3, wo man auf Sofas liegend das Geschehen per Bildschirm verfolgen kann, wie links dokumentiert. Auf der Lehne steht mein Drink, ein wohl-schmeckend und -tuendes, also alkoholisches Getränk meiner Wahl, das den Silberträgern kostenlos an der Fan-Bar gemixt wird.

 
Stand nach 14 von 14 Runden
Tabelle von Chessbase
Rk. Name Rtg. Nt. Pts. n
1
2
3
4
5
6
7
8
TB Perf.
1
GM
2784
9.0
14
57.00
2888
2
GM
2763
8.0
14
54.75
2839
2
GM
2809
8.0
14
54.75
2832
4
GM
2769
7.5
14
52.50
2817
5
GM
2767
6.5
14
44.00
2759
6
GM
2800
6.5
14
41.50
2755
7
GM
2799
6.0
14
40.50
2734
8
GM
2794
4.5
14
33.00
2651
TBs: Sonneborn-Berger         klick auf Links (Lebenslauf der Spieler; Partien)



In Berlin wird der Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen ermitteln. Es sind die besten Schachspieler der Welt. Der WM-Kampf findet dann im November in London statt. Hier in Berlin aber geht zum erstenmal ein solches Kandidatenturnier über die Bühne. Es ist in diesen Wochen die Welthauptstadt des Schachs.
Gespielt wird im Kühlhaus, einer ehemaligen Kühl- und Lagerhalle in der Nähe des Gleisdreiecks, die heute ein Veranstaltungsort ist. In zwanzig Metern Abstand rattert die U-Bahn vorbei. Der erste Eindruck: dunkel, laut, abgeranzt. Man geht durch einen von Bodenstrahlern nur spärlich ausgeleuchteten Tunnel, gelangt durch zwei schwere Eisentüren in den Eingangsbereich im Erdgeschoss. Dort alles schwarz, schwarze Tücher, schwarze Trennwände, funzeliges Licht.
Ein Stockwerk höher wird gespielt. Der Raum ist quadratisch, unterteilt in vier Waben. Nach oben ist er offen und vom zweiten und dritten Stock aus einzusehen. Dort steht das Publikum. Handys sind verboten, überall mahnt schwarzgekleidetes Personal mit „Silence“-Schildern.
Im vierten Stock des Kühlhauses darf geredet werden. Hier ist die „Fanzone“, auch „Spaßzone“ genannt, hier finden auch die obligatorischen Pressekonferenzen statt, zu denen sich alle Spieler nach Beendigung einer Partie verpflichtet haben. Eingerahmt von unverputzten roten Backsteinwänden werden in einer Ecke die Partien nachgespielt, in einer anderen Souvenirs verkauft. Mehrere Dutzend Zuschauer hören, wie zwei deutsche Schachgroßmeister die Stellungen analysieren.


Bislang führt Caruana. Er war, wie viele Spitzenspieler im Schach, ein Wunderkind. Mit fünf Jahren wurde er entdeckt, mit 14 Jahren war er Großmeister. Den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere markiert der Sieg im September 2014 beim äußerst stark besetzten Sinquefield Cup in St. Louis.
Liren immer vorgebeugt und emotionslos,
Aronian - "au Backe", und so sollte es weitergehen
So und Caruana - beide amerikanisiert,
beide in gleicher Denkerpose
Grischuk unkonventionell auf dem Brett,
Kramnik mit Wildcard und nur zu Anfang stark
Mamedyarov hat eine Idee,
Karjakin als vorheriger Herausforderer war gesetzt
Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt, sagt man beim Schach. Und Fehler werden natürlich gemacht. Das unterscheidet reale Spieler von Computern. Dabei wird Schach zunehmend zum Cybersport. Rund eine Milliarde Schach-Programme haben sich Smartphone- und PC-Besitzer weltweit heruntergeladen. Viele verfolgen live die Partien des Kandidatenturniers, während ihnen ein Hochleistungsschachprogramm bereits die exakten Gewinnwege verrät. Das sieht dann oft ganz einfach aus, viel einfacher als für die hier ohne Hilfen kämpfen, um den Weltmeister herausfordern zu können.
Und Carlsen, der amtierende Weltmeister? Der wartet ab. Im vergangenen Jahr wurde er Weltmeister im Blitzschach. Aber auch er ist längst irdisch geworden. An fünf Spitzenturnieren nahm der Norweger 2017 teil, kein einziges konnte er gewinnen, sechs Niederlagen musste er verkraften
. (aus dem "Tagesspiegel" vom 23.03.2018)


oben: Analyse am Brett zwischen So und Aronian
mitte: Analysen der laufenden Partien in der "Spaß-Zone"
unten: Karjakin und Ding stellen sich der Presse

4 Fotos: Björn Lorenzen

Spieler Qualifikationsweg (von Wikipedia) Elo-Zahl
Weltrang
 Sergei Karjakin - Russland 1) der Verlierer der Schachweltmeisterschaft 2016 2763 13
 Lewon Aronjan - Armenien 2) die beiden Bestplatzierten des Schach-Weltpokals 2017, die nicht schon nach 1) qualifiziert waren 2794 5
 Ding Liren - China 2769 11
 Şəhriyar Məmmədyarov - Aserbaidschan 3) die beiden Bestplatzierten des FIDE Grand Prix 2017, die nicht schon nach 1) oder 2) qualifiziert waren 2809 2
Alexander Grischtschuk - Russland 2767 12
 Wesley So USA 4) die beiden Spieler, die 2017 gemittelt die beste Elo-Zahl hatten und nicht schon nach 1), 2) oder 3) qualifiziert waren; sie mussten am Weltpokal 2017 oder am Grand Prix 2017 teilgenommen haben 2799 4
 Fabiano Caruana USA 2784 8
 Wladimir Kramnik - Russland 5) vom Organisator nominierter Spieler mit Elo-Zahl von mindestens 2725[1] 2800 3


Die 4-teilige "Wabe", aus Etage 3 gesehen

Gute Sicht aus der Nähe auf die Spieler mit "Silber" und "Gold"

Auch von oben aus Etage 2 ist der Blick auf die Bretter gut

In Stockwerk 4, der "Fan-Zone", an dem einzigen Fenster,
befindet sich der Stand für Fan-Artikel und die kleine Bar

Hier schweift der Blick über den Industrie-Stadtteil
und die U-Bahn mit dem Bahnhof "Gleisdreieck" (re.)

Für die Bar-Gäste gibt es Stühle und Tische,
das Schach-Geschehen sieht man auf einem 4-teiligen Display

Ebenfalls hier findet die obligatorische Pressekonferenz
mit den Spielern statt, hier mit Liren und Aronian

Alle wichtigen Fide-Ereignisse werden von Anastazia Karlovich
souverän, humorvoll und mit viel Schachverstand moderiert

Die Spieler, hier Karjakin und Mamedyarov, beantworten
auch Fragen des Publikums

In dieser "Fan-Etage" werden auch Analysen der laufenden
Partien angeboten, hier u.a. mit GM Zaragatzki

Ebenfalls hier befindet sich der Fan-Aufenthaltsbereich, wo man miteinander sprechen, analysieren und selbst spielen kann

Gespielt wird von 15 bis 22 Uhr. Es ist bereits ca. 20:30h, die
verbliebenen Zuschauer sind alle in der Fan- oder Spaßzone
So, das war's von meiner Seite. Mal sehen, wer's gelesen hat.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  JH