Lehrreiche Schnellschachrunden: Schach ist nicht gleich Schach
17.09.2015 - JH

Mit einem lediglich als „5 Runden Schnellschach“ angekündigten Vereinsabend hat uns unser TL Gunnar einen sehr spaßigen Abend beschert, indem er einige leider weitgehend unbekannte Varianzen des königlichen Spiels vorstellte. Diese musste das ahnungslos angetretene Schachvolk sodann – allerdings auch durchaus murrend - praktizieren, Puristen ließen sich mehrfach zu Protestausrufen wie „Das ist doch kein Schach“ hinreißen. Doch da kannten sie Gunnar schlecht: Unerbittlich, ja geradezu gnadenlos zog er sein abstruses Programm durch, wer nicht spurt kriegt halt 'ne Null.
 
1 – Kontaktschach
Kontakte sind wichtig im Leben! Beruflicher Aufstieg ohne Kontakte, die sich, wenn man’s richtig angeht, ja bekanntlich zu Seilschaften verfestigen können – unvorstellbar. Und zum guten Gelingen des ganz normalen Alltagslebens sind gute Kontakte zu Freunden ohnehin, aber auch zu Bekannten, wenn sie denn Beamte, Ärzte, Rechtsanwälte oder im besten Fall sogar Handwerker sind, unerlässlich. All dies aber würde wenig nützen bei schlechten oder abgenutzten Kontakten in Steckern, Schaltern und allen möglichen Geräten, denn dann würde es ein Großteil der wertvollen Lebenszeit stockdunkel sein, was hinwiederum nicht nur schlecht ist, denn daraus können sich Kontakte der besonderen Art ergeben, die der Mensch immer wieder als recht angenehm empfindet.
Das alles war einem Außenstehenden geläufig, der einmal rein zufällig und völlig unbeabsichtigt Schachspielern bei der Ausübung ihres Hobbys zusehen musste. Diesem Manne gebührt höchstes Lob, denn, nachdem er seinen Schockzustand überwinden konnte,  ersann er „Kontaktschach“. Mit dieser viel zu wenig praktizierten Spielart wird der gemeine Schachspieler nämlich quasi mit der Nase darauf gestoßen, Kontakte zu pflegen – auch mit anderen Schachspielern!!

Hinweis: Man darf nur auf Felder ziehen, an denen unmittelbarer Kontakt zu anderen Figuren, gleich welcher Farbe, besteht.

2 – Protestschach
Proteste gibt es, solange die Menschheit besteht. Ob allerdings Adam damals protestierte, als Gott ihm Eva zugesellte, ist nicht überliefert. Ganz sicher aber wissen wir von dem Proteststurm, den Martin Luther 1517 mit seinen 95 Thesen anzettelte, der ja so stark war, dass diese sich vom Papsttum abwendenden Leute – genial oder einfallslos?  – fortan „Protestanten“ genannt wurden. Das war ja im Deutschen Reich und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich daraus etwas entwickelte, was mehr und mehr der Deutschen Kultur zugehört, die Protestkultur unserer Republik eben: Gegen den Mauerbau (erfolgreich, sie wurde abgerissen), gegen den Vietnamkrieg (erfolgreich, der ist beendet), gegen Atomkraft (erfolgreich, Stichwort “Ausstieg“) und seit einiger Zeit vermehrt gegen Züge der Bundesbahn, ein Unterfangen, das wohl eher nicht zum Erfolg führen wird.
Die Proteste zu den Zügen des Gegenübers beim „Protestschach“ allerdings sind immer von Erfolg gekrönt. Da ist „geradliniges“ Schach eher fehl am Platze, Winkelzüge sind hier das Maß aller Dinge.

Hinweis: Nach einem Protest muss der Zug zurückgenommen werden und es muss ein x-beliebiger anderer ausgeführt werden.

3 – Kamikazeschach
Im Zweiten Weltkrieg zogen die Japaner Anfang 1945 ihr letztes As aus dem Ärmel: In der Tradition der Samurai stürzten sich Piloten mit ihren Flugzeugen – lebenden Bomben gleich – auf die Schiffe der Gegner und damit in ihren sicheren Tod. Obwohl die eigenen Verluste hoch waren, erzielten sie keine entscheidende Wirkung, der psychologische Effekt aber war enorm. Dieses sollten sich die Spieler von „Kamikazeschach“ stets vor Augen halten, insbesondere, wenn ein ungedeckter feindlicher Bauer unverhofft im Visier der Dame auftaucht. Nach reflexartigem Zuschlagen waren nicht selten äußerst selbstkritische Ausrufe zu vernehmen, die von der großen Mehrheit der urplötzlich genau Zuhörenden mit einem fast nicht wahrnehmbaren Grienen und den zwar inbrünstigen, aber doch unhörbaren Worten „ja, ganz richtig“ quittiert wurden. Und so stimmt es dann wieder: Kamikaze hat weder dem hohen Befehlshaber Ugaki noch dem kleinen DSKler was gebracht.

Hinweis: nicht nur der geschlagene Stein verschwindet vom Brett, sondern auch der schlagende.

4 – Fußballschach
Zu unserem 75-jährigen Jubiläum – wer erinnert sich? – haben Toby Sturm und Tim Boese „Schachball“ erfunden. Das war ein ehrlicher Wettkampf unter ehrlichen Leuten: Einmal Fußball hier und dann sauber getrennt auf einem anderen Spielfeld Schach da, so wie’s jeder auf der Welt versteht. Jetzt aber kommt Gunnar daher und bringt alles durcheinander, so dass der oben erwähnte Ausruf „Das ist doch kein Schach“ korrekterweise noch um „Das ist doch kein Fußball“ ergänzt gehört: Fußball UND Schach werden verwurstet und gemeinsam auf den 64 Feldern ausgetragen. Wie soll das gehen so ganz ohne Ball? Wobei noch erschwerend hinzukommt, dass von all den 64 Feldern plötzlich nur ein einziges wichtig sein soll – da ist dann wieder der Fußball obenauf! Insbesondere wo das Spiel mit dem Ausruf „Tor“ beendet werden soll.

Hinweis: Derjenige gewinnt mit dem Torschrei, der eine seiner Figuren auf dem Ausgangsfeld des gegnerischen Königs platzieren kann.

5 – Hoppel-Poppel-Schach
Soweit ist es gekommen mit dem Spiel der Könige: Hoppel-Poppel! Das erinnert mich nicht nur an einen außer Form geratenen Hasen, sondern auch an etwas anderes Essbares mit dem bezeichnenden Namen Hampel-Pampel: Da wurde dem Kühlschrank der gesamte spärliche Rest entnommen und in die Pfanne verfrachtet. Leute mit Erfahrung aßen dann immer öfter nach Art der Wikinger, wenn diese auf ihren Schiffen fern der Heimat Fleisch verzehrten: Im Dunkeln bzw. mit geschlossene Augen und auch ansonsten auf Sparflamme dämmernden Sinnen. Beim Hoppel-Poppel-Schach allerdings wäre das eine schlechte Empfehlung, im Gegenteil, alle sechs Sinne müssen hellwach und äußerst geschärft sein! Dieses wirre Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel nicht nur des Springers, nein dazu auch noch des Läufers hat ganz sicher schon den einen oder anderen in die Irrenanstalt gebracht. Als ein Krankenwagen mit heulender Sirene am Thomsen vorbeifuhr, sind nicht ohne Grund gleich mehrere Spieler ahnungsvoll auf ihren Sitzen zusammengesunken. Vor so einer Schachvariante sollte der Turnierleiter immer einen Zählappel durchführen. In Russland ist wohlweislich außer Blindsimultan auch „Hoppel-Poppel“ strengstens verboten!

Hinweis: Wer richtig hoppel-poppelt, schlägt mit dem Springer wie ein Läufer und mit dem Läufer wie ein Springer – is‘ klar, oder?